CATALOG nemu 006
contact / booking:
Liner notes von Robert Cohen, New York
University. Aufgenommen Oktober 2007
von Klaus Kugel, K2 Studios, Gummersbach
und Dezember 2007 von Andreas
Entner, Arturo Studio, Köln. Abgemischt
und gemastert von Ulrich Seipel, USM
Production, Darmstadt.
Alle Kompositionen von Achim Tang
(Gema c 2008) www.achimtang.com
Graphic Design: Christiane Resch
Produktion: Ute Kaiser
Kontakt: www.utekaiser.com
Herzlichen Dank an Ulrich Seipel, Robert
Cohen, Klaus Kugel, Albrecht Maurer,
Andreas Entner, Tina Stolt, Kurt und
Sabine Groenewold, Dr. Dorothea Meyer
und Hanni Kaiser.
Trotz intensiver Recherche konnte der/
die Rechteinhaber/in des Photos von
M. Steffin leider nicht gefunden werden.
c 2008, RA Kurt Groenewold für
Margarete-Steffin-Nachlass.
c Dr. Dorothea Meyer für Maria-Osten-
Nachlass.
Ute Kaiser – Stimme
Achim Tang – Kontrabass
Gast: Maria Ammann – Stimme
Notizen zu Margarete Steffin
Freche Frauen hat man sie gelegentlich genannt, jene zehntausende von jungen Frauen, die, auf der Suche nach Arbeit und einem selbstbestimmten Leben, in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts aus der Provinz nach Berlin strömten. Angezogen vom Glanz der Hauptstadt der Weimarer Republik, geblieben als Stenotypistinnen und Tippfräuleins, schwankend zwischen Angst vor der nächsten Inflation und Aufbegehren gegen den schmierigen Chef, den leichtsinnigen Liebhaber, den armseligen Alltag. Ein weibliches Proletariat am Rand der Männergesellschaft. Ihre Stimme fanden sie in einer Gruppe von schreibenden jungen Frauen – der ersten Generation deutscher Schriftstellerinnen: Anna Seghers, Marieluise Fleißer, Mascha Kaléko, Irmgard Keun, Gabriele Tergit, Elisabeth Hauptmann, Veza Magd, Maria Osten. Zu diesen Schriftstellerinnen gehörte auch Margarete Steffin: geboren 1908 in Rummelsburg bei Berlin, gestorben
1941 in Moskau, mit dreiunddreißig Jahren, an Tuberkulose, der Proletarierkrankheit. Der Vater Kutscher und Bauarbeiter, die Mutter verrichtete Heimarbeit als Näherin. Margarete Steffin machte eine Lehre als Kontoristin, arbeitete dann als Buchhalterin in einem Verlag. Sie schrieb früh Erzählungen, Gedichte, ein Theaterstück. Auftritte in Arbeitersprechchören, zunehmend auch als Rezitatorin und Schauspielerin. Besuch der Marxistischen Arbeiterschule, Eintritt in die kommunistische Partei. Zu Beginn der dreißiger Jahre eine Rolle im Stück Die Mutter von Bertolt Brecht. Sie wird Brechts Geliebte, dann seine Mitarbeiterin und Lektorin. 1933 begleitet sie ihn und seine Familie ins Exil nach Dänemark, dann Schweden, dann Finnland; schließlich die Reise nach Moskau, auf dem Weg Brechts nach Los Angeles. Kaum ein Stück Brechts, an dem sie in diesen zehn Jahren nicht einen wesentlichen Anteil hatte, kaum ein Gedicht, das
sie nicht korrigiert, dessen Rhythmus sie nicht verbessert hätte; keine Gedichtsammlung, an deren Zusammenstellung sie nicht beteiligt gewesen wäre. Eine seiner Sammlungen hat Brecht nach ihr benannt: die Steffinsche Sammlung. Brechts Wertschätzung seiner Mitarbeiterin: als sie ihm auf seinen Wunsch kritische Bemerkungen zu seinem Dreigroschenroman schickt, schreibt er zurück: „Die Kritik ist gut, aber zu kurz“. Und wenige Tage später: „Schreibe mir also fortwährend solche Einwände, ich kann sie ausgezeichnet gebrauchen“. Steffin wurde von Brecht gebraucht, gefördert,
ausgebeutet, geliebt und verletzt. Neben ihr gab es immer auch andere Geliebte. Die Beziehung zu dem großen Mann hatte ihren Preis. Margarete Steffin hat ihn voll bezahlt.
Das hat Spuren hinterlassen in ihrem eigenen literarischen Werk aus Lyrik, Prosa und zwei Theaterstücken für Jugendliche, das in den Jahren der Partnerschaft mit Brecht entstand. Zum Beispiel in der listigen Geschichte von Konfutse, der, von der schönen, selbstsicher in die Staatsgeschäfte sich einmischenden Fürstin empfangen, sich nicht entscheiden kann, ob er sie bewundernd oder missbilligend anblicken soll. So blickt er sie während der Audienz überhaupt nicht an. Der große Weise erweist sich als Macho, der nichts von Frauen versteht, nie über sie spricht und ihre Gegenwart nicht zur Kenntnis nehmen will. Manche von Steffins Texten spielen im Arbeitermilieu und handeln vom Krieg. Etwa der unsentimentale Bericht eines achtjährigen roletariermädchens, in „Von der Liebe. Und dem Krieg“, über seine
Mutter, die sich im Krieg einen Liebhaber nimmt. Die Verletzung lehrt das Kind, wie der Krieg alles in sein Gegenteil verkehrt, auch die Liebe. In der bitteren Erzählung „Ich bin ein Dreck“ ist das weibliche Ich an einem Endpunkt angelangt. Unheimlich mutet seine Vorhersage an, es werde mit 33 sterben, also im Alter, in dem Steffin, zwei Jahre nach der Niederschrift dieser Erzählung, sterben sollte. Einfach wäre es, den Text als Selbstaussage der Schriftstellerin zu lesen. Der Er, der „das Gewissen eines Eisklumpens“ hat, wäre dann Brecht. Indessen sollte nicht übersehen werden, dass Titel und Anfangssatz ein Zitat sind. Steffin zitiert den Anfang des 5. Gedichts aus Brechts Sammlung „Aus dem Lesebuch für Städtebewohner“.
Dadurch entsteht ein literarischer Dialog zwischen Steffins Erzählung und Brechts Gedicht. Nicht um Selbstdarstellung geht es in diesen
Erzählungen, sondern um Literatur.
Dialogisch in hohem Maß sind Steffins Gedichte. Ihr Adressat ist Brecht: als Geliebter, aber auch als literarischer Partner. Sie sind entstanden zwischen 1932 und 1935, in der frühen Phase der Beziehung. Brecht hat mit eigenen Gedichten geantwortet: so ergab
sich ein lyrisches Zwiegespräch. Steffins Gedichte handeln von der Liebe, aber es sind keine Liebesgedichte, jedenfalls nicht in jenem
idealistischen Sinn, bei dem schöne wie schlimme Gefühle ins Allgemeine überh.ht und der Alltagswirklichkeit entzogen werden. Die Wirklichkeit: das ist zum Beispiel die Abtreibung (von Zwillingen) im Arbeitermilieu, von der das Gedicht „Natürlich hab ich als Kind“ handelt. Der Ton ist neusachlich distanziert, umgangssprachlich, fast schnoddrig. Jedoch ist das Gedicht sorgfältig gebaut: neun Strophen, jede Strophe besteht aus vier dreihebigen Versen, Vers zwei und vier sind gereimt. Bei der letzten Strophe ist der freche Ton verschwunden. Die vier Verse sind von einer verstörenden Kraft und Schönheit, in der ein nicht endenwollendes Entsetzen nachhallt:
Da schwammen meine Zwillinge
Stille im dunklen Blut.
Und wer sie so schwimmen sah, wußte
Wie die Liebe tut.
Die Mehrzahl von Steffins Gedichten – und Brechts Antwortgedichte – sind Sonette. Eine traditionsreiche und anspruchsvolle Form, die Mühe macht und Können verlangt. Steffin und Brecht haben sich ihre Sonette gegenseitig korrigiert. In diesem pfleglichen Umgang mit der literarischen Produktion des Anderen fand die gegenseitige Gewogenheit einen in der Literatur einzigartigen Ausdruck.
Die junge Frau in Steffins Gedichten ist aufgewachsen mit einer körperlos ätherischen Vorstellung von Liebe: „Liebe liebte ich, doch nicht das Lieben“. Jetzt lernt sie, mit der gleichen Selbstverständlichkeit auf Lust und Begierde zu bestehen, wie der männliche Partner. Was für eine Sprache stand Margarete Steffin für ihre weiblichen Erfahrungen zur Verfügung? Brecht verwendet in seinen
Sonetten vulgäre Wörter und ermutigt auch Steffin dazu. Diese Wörter haben die Kraft, den Schleier aus Kitsch zu zerreißen, der über
den körperlichen Vorgängen liegt. Aber sie reproduzieren vorwiegend männliche Erfahrungen; ein Ton von Verachtung für das weibliche
Geschlecht schwingt darin mit. Steffin hat sich geweigert, sie zu verwenden (wie aus einem Sonett Brechts hervorgeht). Ihre Lyrik ist auf der Suche nach den angemessenen Wörtern, nach einer Sprache der Lust und der Liebe, jenseits männlicher Obszönitäten und jenseits von bürgerlichem Kitsch.
Nie ist in Steffins Sonetten über die Liebe die Bitterkeit fern. Dass der Partner immer wieder Beziehungen zu anderen Frauen eingeht, ist für das weibliche Ich der Punkt des stärksten Schmerzes. Dagegen war in der Beziehung Steffins zu Brecht kein Kraut gewachsen. Steffin hat ihre Erbitterung in einem großartigen weiblichen Rachegedicht gestaltet („Stell dir vor: es kommen alle Frauen“). Mit wachsender Desillusion wird das Motiv des untreuen Geliebten in Gedichten („Wenn ich zu dir komme, lass mich bitte“), in der Prosa („So leicht wird ein Weniges ein Alles“) und in Briefen („Lieber bidi, ich bin vormittags“) immer neu formuliert. Die Einsicht in das nicht zu ändernde Verhalten Brechts hat wohl dazu geführt, dass Steffins Lyrikproduktion – und damit der Dialog mit Brecht in Sonetten
ab 1935 zum Erliegen kam. Aber es blieb auch danach bei der gegenseitigen tiefen Zuneigung und bei der für beide unersetzlichen Zusammenarbeit.
Die Fluchtpläne mit Brecht in die USA zerschlugen sich. Steffin erhielt wegen ihrer Krankheit kein Visum. Ihre Existenz wurde zunehmend zu einem Martyrium aus Krankenhaus, Operationen, Kur- und anatoriumsaufenthalten. Als sie endlich doch ein Besuchervisum erhielt, war es zu spät. Auf der Reise mit Brecht und den Seinen, von Finnland nach Wladiwostok, brach sie in Moskau zusammen. Maria Osten, die bis auf einen Tag gleichaltrige Schriftstellerin und Freundin, hat sie am Sterbebett gepflegt. (Maria Osten, ebenfalls Kommunistin, starb wenige Monate später unter den Kugeln des stalinschen Geheimdienstes.) Nach Steffins Tod schickte sie Brecht, der mit seiner Familie in der Bahn in Sibirien unterwegs war, ein langes Telegramm, das in ruhigem Ton und kummervoller Genauigkeit Margarete Steffins letzte Stunden schildert. Dieses schlimme Ende, das Margarete Steffin in jenen Jahren mit Millionen von Toten – darunter wie viele dreiunddreißigjährige Frauen? – teilte, lastet auf dem Umgang mit ihrem Werk. Aber nicht um dieses Endes willen sollte dieses Werk gewürdigt werden, sondern weil es auf zugleich leichte und nachdenklich machende Weise unterhält, weil die Stimme dieser Schriftstellerin von Vergnügungen und von Kämpfen berichtet, die für uns Heutige keineswegs erledigt sind.
Robert Cohen, New York